Am 21. Februar kam ich gegen Abend mit Simon auf seinem Windsurf-Segelboot vor St. Martin an.
Die Insel ist das kleinste Gebiet weltweit, das sich von zwei Staaten geteilt wird. Lange Zeit waren dies Frankreich und Holland, die die Insel in ihrem Kolonialisierungs-Wahn eroberten und 1846 untereinander aufteilten. Der Legende nach wurden zur Grenzfestlegung je ein Soldat der beiden Nationen in gegengesetzter Richtung um die Insel geschickt und dort wo sie aufeinander trafen wurde dann die Grenze festgelegt. Angeblich waren beide dabei ordentlich vom Rum beeinflusst, doch da der Niederländer mehr torkelte als der Franzose ist der französische Teil der Insel größer.
Seit 2010 ist der holländische Teil, der Sint Maarten heißt, unabhängig, bleibt allerdings Teil des holländischen Königreichs, sodass sich die Krone weiterhin um Militär und Auswärtige Angelegenheiten von St. Maarten kümmert. Es gibt aber daher eine andere Währung, die Gildern, die es auch in Curacao, einer anderen ehemaligen niederländischen Kolonie, gibt. Da auf französischer Seite in Euro bezahlt wird und die Insel von enorm vielen US-Amerikaner*innen heimgesucht wird, die auf ihren Dollar nicht verzichten wollen, gibt es in den Supermärkten Preise in 2 – 3 Währungen – kompliziert..
Die Hauptstadt auf der französischen Seite, wo es die schönere Natur und Strände gibt, heißt Marigot. Marigot ist eine verträumte Kleinstadt, über der eine Festung mit französischer Flagge thront. Neben ein paar Restaurants und Läden gbit es einen Touri-Markt, der auf lokal und traditionell macht, und ansonsten geht nicht viel in Marigot. Die niederländische Seite, die übrigens im Süden liegt, hat zwar die weniger spektakuläre Natur, dafür aber die Party: in der Hauptstadt Philipsburg, etwas größer, aber immer noch Kleinstadt, legen teilweise bis zu 10 Kreuzfahrtschiffe am Tag an. Dann wird die Stadt und die ganze Insel für einen Tag mit Touris geflutet, die gegen späten Nachmittag aber schon wieder zurück aufs Schiff müssen. Kaum vorzustellen, dass sie ihr All-Inclusive-Buffet und die Musicals an Bord verpassen könnten. So ist Philipsburg am Abend wie leergefegt und viele Bars & Restaurants schließen vor 18 Uhr.
Wer abends etwas erleben will, bleibt nicht in Philipsburg sondern geht zur Simpson Bay. Durch die Bucht im Westen verläuft die Grenze und auf niederländischer Seite gibt es viele Bars mit Live-Musik, Restaurants, Nachtclubs und ein paar Stripclubs. Wenn ich niederländische Seite schreibe, dann wegen des weiterhin starken niederländischen Einflusses in Sprache, Militär, etc. Direkt bei der Simpson Bay liegt der Strand Mahau, einer der Touri-Hotspots der Insel, da direkt hinterm Strand die Landebahn des Flughafens beginnt, sodass die Flugzeuge teilweise nur 10 bis 20 Meter über den Köpfen herfliegen. Zugegebenermaßen ein Spektakel. Doch wenn man sich die Frequenz der Flugzeuge auf dieser kleinen Karibik-Insel anschaut, dann wird einem schlecht. Insbesondere Privatjets starten und landen hier in einer Häufigkeit, wie ich es noch nicht erlebt habe. In der ersten Stunde, in der Simon und ich ankamen, sah ich mind. 10 Privatjets…
Ähnlich sehen die Häfen auf holländischer Seite aus: eine Motor-Luxus-Yacht reiht sich neben die andere und man könnte fast meinen es gäbe einen Wettstreit, wer das hässlichere Boot hat (aus meiner Segler-Brille etwas gefärbt) und wer mit seinem Boot die Umwelt am meisten verpestet. Diese Seite an St. Maarten hat mir gar nicht gefallen und ich hab mich in den Segelhafen von Le Marin auf Martinique zurückgewünscht, wo so eine Motoryacht immer fehl am Platz aussah. Für meine Straßenmusik war das viele Geld, das ohne Zweifel nach St. Maarten kommt, nicht so schlecht. So konnte ich an wenigen Nachmittagen/Abenden recht viel Geld einnehmen und habe zwei lokale Projekte gefunden, die ich damit unterstützen kann. Mehr dazu schreibe ich in meinem Beitrag über Straßenmusik.
Als Simon und ich am Mittwoch dann in der Simpson Bay ankerten, konnte ich schon wenige Stunden später, Riki und Martin kennenlernen, die mich auf eine Facebook-Anzeige kontaktiert hatten. Die beiden segeln seit 2018 um die Welt und haben in den letzten beiden Jahren Verstärkung durch Kira (3) und Naia (1) bekommen. Auf ihrem Boot Aracanga sind sie vor gut einem Jahr eingezogen, da das vorherige zu klein war. Mit allen Vieren verstand ich mich direkt sehr gut und so gaben sie mir schnell die Zusage, dass ich mit ihnen in die Dominikanische Republik segeln kann – für mich ideal, da ich genau dort als nächstes hinwollte und so gar keine Zeit mit der Suche nach einem Boot verbringen musste, sondern mehr Zeit hatte, um St. Martin zu erkunden.
Nachdem ich schon kurz meine Koje auf der Aracanga bezog und einen schönen Abend mit der neuen Crew und einigen Freund*innen verbrachte, zog ich nochmal für 3 Tage aus, um bei einem Couchsurfer unterzukommen. Marlov ist in Curacao geboren, in den Niederlanden aufgewachsen und wohnt seit ca. 10 Jahren in St. Maarten. Er machte netterweise mehrere Ausflüge mit mir und zeigte mir mit seinem Auto die Insel. In 44km sind wir mit mehreren Umwegen einmal um die Insel gefahren. Marlov erzählte mir viel zu den einzelnen Orten und zur Geschichte des Landes. Bei einer Wanderung konnten wir drei Mal Affen beobachten, die man auf der Insel eigentlich nur selten zu Gesicht bekommt.
Die Hurricanes Irma und Luis und ihre Folgen
Ein Thema, auf das man auf der Insel zwangsläufig immer wieder stößt, sind die Hurricanes. Wer in der Karibik lebt, für den/die gehören Hurricanes zum Leben dazu und jede*r erlebt im Leben mehrere davon. Die letzten beiden großen Hurricanes, die St. Martin verwüsteten, waren Luis und Irma. Luis richtete im Jahr 1995 einen Schaden von 3.3 Milliarden US-Dollar an. 9 Menschen starben und über 20.000 wurden obdachlos. Die meisten Schäden von Luis sind heute nicht mehr zu sehen, doch an einer Stelle der Insel, kann man die Folgen noch gut sehen: La Belle Creole. Das ehemalige Luxus-Ressort, das einem kleinen Dorf ähnelte, wurde vom Hurricane völlig zerstört und nie wieder aufgebaut. Noch heute kann man die Ruinen begutachteten. Der Bau von La Belle Creole, das auf französischer Seite der Simpson Bay liegt, begann in den 1950er-Jahren. Doch mehrmals ging das Geld aus und namhafte Investoren wie Hilton sprangen ab. Erst im Jahr 1986 wurde das Ressort fertiggestellt, bevor es 9 Jahre später wieder dem Erdboden gleichgemacht wurde. Beim Bau sollen mehrere Gastarbeiter*innen zu Tode gekommen sein.
Viele Einheimische sagen, dass das Dorf verflucht ist und meiden es. Manche sagen, dass es auf einem ehemaligen Arahawk-Friedhof gebaut wurde, das waren die ersten Besiedler*innen, der östlichen Karibikinseln. Andere behaupten, dass eine vorgelagerte Insel früher für die Verbannung von Lepra-Kranken genutzt wurde und das Dorf daher verflucht sei. So oder so eine bewegte Geschichte für ein so kleines Dorf. Der Hurricane Irma im Jahr 2017 war noch deutlich monströser als Luis und richtete mehr Schaden an: über 100 Menschen verloren ihr Leben, Tausende wurden obdachlos und der Schaden belief sich in der ganzen Karibik auf ca. 77 Milliarden US-Dollar. Während die Luxus-Resorts in Windeseile wieder aufgebaut wurden, um den Tourismus schnell zurück auf die Insel zu holen, sind viele Häuser der Einheimischen bis heute nicht repariert. Viele von ihnen waren etwa nicht ausreichend oder gar nicht versichert – hier sieht man wieder den starken Gegensatz von Arm und Reich in St. Martin und St. Maarten.
Doch wie ist das eigentlich, bei einem Hurricane dabei zu sein? Von Marlov und anderen hörte ich einige Berichte, wie es bei Irma ablief. So ein Hurricane entsteht nicht aus dem Nichts und so werden die Bewohner*innen ein paar Stunden oder sogar Tage vorher gewarnt. Die Superreichen verlassen dann zu Hauf das Land und kommen nach dem Sturm wieder, um zu schauen, was kaputt gegangen ist. Manche von denen, die es sich leisten können, gehen für die Zeit des Sturms in ein Hotel. Ob da auf die richtige Karte gesetzt wird, merkt man aber auch erst nach dem Sturm. Manch einer wurde von Trümmern im Hotel verletzt und fand dann später das eigene Haus intakt.
Die meisten verbringen den Hurricane im eigenen Haus und suchen sich dort einen möglichst sicheren Ort. Ich habe von einem Mann gehört, der sich mit seinen Kindern von einem Nachbarn in der Dusche einschließen ließ, um gar nicht in die Versuchung zu kommen, vor Ende des Hurricanes herzvorzukommen. Eine große Gefahr ist nämlich das Auge des Sturms wie Marlov mir erklärte. Der Hurricane beginnt mit Regen, kurze Zeit später wird der Druck immer größer und die Scheiben biegen sich regelrecht nach innen, das Atmen wird schwerer. Und erst dann kommt er richtige Sturm, der mit Geschwindigkeiten von bis zu ??? umherfegt und vieles zertrümmert.
Nach mehreren Stunden nimmt der Sturm auf einmal schlagartig ab und einige denken, dass es vorbei ist. Doch wenn das Auge des Sturms vorbei ist, geht die zweite Hälfte los und der Wind kommt aus der entgegengesetzten Richtung. Wer dann rausgegangen ist, weil er oder sie dachte es sei vorbei, schwebt in höchster Gefahr.
Nach der Zeit bei Marlov, ging ich zurück auf die Aracanga, verbrachte dort noch ein paar entspannte Tage bevor wir lossegelten. In der Seglerbar Lagoonies konnte ich noch ein Konzert spielen und nun freue ich mich auf moderate Preise und Spanisch sprechen in der Dominikanischen Republik.