Seit meinem letzten Beitrag bin ich in Avignon und Montpellier gewesen und habe die beiden Städte mit meinem Kumpel Jakob unsicher gemacht. Von Montpellier bin ich nach Barcelona getrampt und habe dort sowohl einige supercoole Menschen kennengelernt, als auch die Stadt angeschaut und meine Freundin Sandra getroffen. Seit Freitag war ich dann in Valencia, hab ein paar Cafés und Bars besucht, einige Geocaches gemacht und Valencia gegen den RCD Mallorca im Fußball verlieren sehen. Heute habe ich noch die SEA-EYE 4 besucht, die hier in der Nähe im Hafen liegt. Ich habe bisher super viel gesehen und erlebt!
In diesem Blogbeitrag möchte ich euch von einigen besonderen Begegnungen erzählen: mit alten Gesichtern und mit neuen, spannenden und hilfsbereiten Personen. Außerdem möchte ich einen kurzen Input/Anstoß zur Zeit des Faschismus unter Franco geben – genauer gesagt zu einer Ausstellung über die systematische Unterdrückung der Frau zu Zeiten Francos.
Sonntag vor einer Woche bin ich in Lausanne gestrandet. Die letzten beiden Personen, die mich mitnahmen, waren Mattia und Didi. Mattia sagte mir als sie mich absetzten, dass ich bei ihnen übernachten könnte, falls ich nicht mehr weiterkomme.
Ich bin sicher, dass ich es noch nach Genf geschafft hätte. Doch ein paar verlorene Kopfhörer und eine längere Suche später wurde es dunkel und ich nahm das Angebot an. Und wie es so ist, sollte es genauso passieren: Mattia und Didi waren superlieb. In ihrer WG waren auch noch Angela und Damien. Sie hatten gerade gekocht und haben mich wie selbstverständlich zum Essen und Billard spielen eingeladen. Dabei konnte ich ihnen ein neues Billardspiel beibringen, das ich aus Mexiko kenne und das sie seitdem immer spielen, wie sie mir geschrieben haben.
Die Gespräche mit ihnen waren total spannend. Sie haben das Haus, in dem sie zu 6. leben und einen dazugehörigen Bauernhof vor Kurzem gekauft und wollen dort ein eigenes, solidarisches Landwirtschaftsprojekt starten. Mattia braut dazu noch selber Bier und Damien, der aus Guatemala kommt und dort noch Kontakte für mich hatte, ist Bäcker. So war mein Frühstück am nächsten Tag extrem lecker: Selbstgebackenes Walnussbrot mit französischem Käse.
Am nächsten Tag war mein Ziel Avignon, um dort meinen Kumpel Jakob zu treffen: Ein ambitioniertes Ziel für einen Tag, vor allem nachdem es am letzten Tag nicht so gut lief. Doch zum Glück fuhr Angela am nächsten Tag nach Genf zur Arbeit und konnte mich an der Raststätte raussetzen. Die zweite Person, die ich dort ansprach, war Sarah – eine Britin, die seit 40 Jahren in der Schweiz wohnt. Sie war erst etwas skeptisch und willigte dann aber doch ein, mich mitzunehmen. Was ein Glück, denn sie konnte mich dann bis kurz vor Marseille mitnehmen und wir hatten eine richtig coole Autofahrt zusammen. Trotz Altersunterschied konnten wir uns wirklich sehr gut unterhalten, uns vieles anvertrauen – vlt gerade weil wir uns vermutlich nie wiedersehen – und sind durch eine wunderschöne Landschaft gefahren. Sarah zeigte mir ihre Spotify-Playlist „#IamGerman“ und wir grölten zusammen die Toten Hosen und Cordula Grün (nicht die Malle-Version, sondern das Original von Josh – ein wichtiger Unterschied meiner Meinung nach). Eine weitere von vielen Erfahrungen, die ich nie gemacht hätte, wenn ich mit dem Bus oder Zug durch Europa reisen würde.
Eine weitere solche Erfahrung hatte ich auf dem Weg nach Barcelona. Nachdem ich zwei Mal nur für kurze Strecken mitgenommen wurde, fuhr ein Porsche Cayenne an einer Raststätte an mir vorbei. Bisher waren die Reaktionen von Luxus-Auto-Fahrer*innen eher zurückhaltend bzw. abweisend. Doch Timo (Name verändert), ein Russe, bot mir freundlich an, dass er mich mitnehmen könne nach Barcelona. Er freute sich über meine Gesellschaft, da er seit mehreren Tagen unterwegs war, um den Porsche für einen Freund von Helsinki nach Alicante zu bringen. Schon auch einer von vielen Kontrasten während meiner Reise: ich trampe und versuche viel bei Bekannten unterzukommen und gleichzeitig wird diese Luxuskarre 4000 Kilometer weit gefahren, damit der Besitzer sie an seinem neuen Wohnort hat. Timo konnte übrigens überhaupt nur Russland Richtung Finnland verlassen, weil er neben dem russischen noch einen anderen Pass hat.
Für mich war von Anfang an klar, dass ich Timo auf den russischen Angriffskrieg und die Situation ansprechen wollte, doch gleichzeitig wusste ich, dass ich Fingerspitzengefühl brauchte, denn ich wusste ja nicht wie er das alles sieht und ich hing als Mitfahrer extrem von ihm ab.
Mit fortlaufender Fahrt fand ich aber zum Glück heraus, dass er den Krieg genauso verurteilt wie ich. Er sagte, dass er viele Menschen kennt, die Verwandte auf beiden Seiten haben und die gegeneinander kämpfen müssen. Übrigens möchte ich deswegen auch nicht zu viele Details über ihn verraten.
Er sagte aber auch, dass die Ukraine sich durch ihren EU-freundlichen Kurs zu sehr von Russland abgewandt hätten und dass sie somit den Zugang zu vielen russisch-sprechenden Menschen in ihrem Land verloren hätten, die in manchen Teilen sogar nicht mal Russisch sprechen durften. Dies rechtfertigt auch in seinen Augen keinen Krieg, wie er ihn übrigens auch nannte, dennoch wollte er das nicht unerwähnt lassen.
Als ich ihn fragte, ob es in seiner Stadt Proteste gegen Putin gäbe, bejahte er dies, meinte aber auch, dass er nicht glaube, dass die Proteste etwas brachten. Die Menschen würden für mehrere Tage ins Gefängnis gesteckt und so mundtot gemacht. Deswegen beteilige er sich auch nicht an den Protesten, da er als Familienvater nicht ins Gefängnis wolle. Überhaupt sei Putin nicht der einzige Kopf dieses Krieges, sondern schon alt und viel auch unterstützt von einem Stab, der teilweise noch grausamer ist.
Für mich war es eine spannende Möglichkeit in diesen Zeiten mit einem Menschen aus Russland zu sprechen. Doch gleichzeitig ist dies natürlich nur eine Perspektive von vielen.
Die Unterdrückung der Frau zu Zeiten des Franquismus
Ich bin mir bewusst, dass die Zeit des Faschismus unter Franco in Spanien ein riesiges Thema ist, mit dem sich viele von euch schon beschäftigt haben und das in zahlreichen Artikeln viel besser aufgearbeitet ist als ich es hier könnte. Dennoch möchte ich hier einen Anstoß geben, sich wieder oder auch zum ersten Mal mit dem Thema zu beschäftigen – mehr aber auch nicht.
Wenn ich in Spanien bin, stolpere ich immer wieder darüber, finde es spannend aber vor allem erschreckend, dass noch solange nach dem zweiten Weltkrieg (bis 1975) ein faschistischer Diktator die Macht in einem europäischen Land innehaben konnte. Möglich wurde das wohl vermutlich durch die Neutralität, die er im zweiten Weltkrieg mit Spanien erhielt. Dies änderte doch aber nichts daran, dass er nach seinem von den Faschisten in Deutschland und Italien unterstützten Putsch mehrere hunderttausende Menschen exekutierte, ca. 1,5 Millionen Menschen in Konzentrationslager deportierte und die Rechte der Einheimischen in den Kolonien weiter einschränkte. Mich macht das schon jedes Mal wieder fassungslos…
Während dieser Reise habe ich wie gesagt mal einen anderen Zugang zu der Zeit bekommen: Im „Museo Valenciano de la Ilustración y Modernidad“ gibt es aktuell eine Ausstellung zu „Elena Francis. Frankismus & Unterordnung der Frau“. Im Jahr 1950 begann die wohl bekannteste Radio-Beratung zu Zeiten Francos. Elena Francis startete den „Consultorio de la mujer“, also die Beratung der Frau. Tausende verzweifelte Frauen wandten sich mit ihren Probleme an die Sendung und bekamen Ratschläge, die sich an der Doktrin Francos ausrichteten: die Frau als dem Ehemann untergeordnet, betraut mit dem Haushalt, ohne persönliche oder berufliche Autonomie geschweige denn persönliche Rechte.
Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass Elena Francis nie wirklich existierte. Sie war eine von Àngela Castells erdachte Figur, deren Antworten später noch von anderen Frauen und in den letzten 18 Jahren sogar von einem Mann erdacht wurden.
So konnte sichergestellt werden, dass die Frauen sich zu Zeiten Francos so unterordneten, wie es sich der Diktator und seine Gefolgsleute vorstellten.
Ganz egal, welche Anfrage kam, die Antwort war immer, dass es an der Frau sei, geduldig zu sein, das Problem wieder geradezubiegen und sich dem Mann unterzuordnen. Selbst wenn eine Frau schrieb, dass ihr Mann sie betrogen habe, wurde gesagt, dass die Frau die Schuld habe, dass es normal sei, dass der Mann mal in einer emotionalen Krise sei und dass sie nur Geduld bräuchte, damit der Mann zu ihr zurückkommt. Auf keinen Fall aber dürfe sie ihn verurteilen oder unter Druck setzen.
Hier ein paar Zitate aus der Sendung damals:
Die Aufgabe des Mannes ist es, mit allen zu verhandeln, und die Aufgabe der Frau ist es, mit wenigen zu reden. Die Aufgabe des Mannes ist es, gut zu reden, und die Aufgabe der Frau ist es, zu schweigen. Die Aufgabe des Mannes ist es, sich um Geld zu bemühen, und die Aufgabe der Frau ist es, es nicht zu verschwenden. Die Aufgabe des Mannes ist es, Herr über alle Dinge zu sein, und die Aufgabe der Frau ist es, über alle Dinge Rechenschaft abzulegen.
„El consultorio de la mujer“ von Elena Francis
Das Leben einer jeden Frau, egal wie sehr sie sich verstellen – oder verschleiern – will, ist nichts anderes als der ewige Wunsch, jemanden zu finden, dem sie sich unterordnen kann.
„El consultorio de la mujer“ von Elena Francis
Ihr Mann befindet sich in einer moralischen Krise und einer außergewöhnlichen Störung. Er ist kein gewöhnlicher Eroberer, der sich von Blüte zu Blüte hangelt. Dies ist einer der vielen Fälle von guten Ehemännern, denen eine skrupellose Frau im Weg steht, die sich nicht um das Glück einer Familie kümmert und deshalb Freude daran hat, es zu zerstören. Seien Sie versichert, dass Ihr Mann, wenn Sie taktvoll und geduldig sind, verliebter denn je zurückkommen wird. Aber Sie dürfen ihn nicht mit Worten beleidigen oder hart angehen.
Ratschlag an eine Frau, die betrogen wurde
Ich finde es echt krass, wie kurz es her ist, dass solche Aussagen im öffentlichen Radio verbreitet wurden und bin froh, dass wir schon viel weiter sind mittlerweile. Dass aber noch einiges fehlt sieht man alleine an dem Umstand, dass die Ausstellung in einem kleinen Gang im Keller steht.